„Wir müssen uns dringend verändern!" – und im nächsten Satz, sei er ausgesprochen oder auch nicht: „Aber bitte so, dass es für unsere Mitarbeitenden nicht zu anstrengend wird."
Das ist ein Widerspruch und die größte Hürde für erfolgreiche Transformation in KMU: Wir wollen, dass sich etwas verändert – aber am liebsten soll alles so bleiben, wie es ist.
Die unbequeme Wahrheit: Das funktioniert nicht. Transformation ohne Lernen ist wie Schwimmen lernen, ohne dafür ins Wasser zu gehen.
Der Irrglaube: „Wir haben doch für jeden ein Weiterbildungsbudget"
Wenn über Lernen gesprochen wird, geht es meist um Seminare. Ein bis zwei Tage im Jahr, danach zurück an den Arbeitsplatz. Die Euphorie ist die ersten Stunden noch groß, doch nach kurzer Zeit ist alles beim Alten. In den Tagen des Trainings ist einiges liegen geblieben und ansonsten geht es auch immer rund. Das im Training Gelernte und Geübte ist damit schnell wieder vergessen.
Das ist Lernen im engeren Sinn: Ich besuche eine Schulung und bekomme ein Zertifikat.
Lernen geht jedoch viel weiter: Ich verändere dauerhaft mein Denken und Verhalten. Ich wende das Gelernte im Alltag an. Ich entwickle mich weiter.
Der Unterschied? Das eine ist ein Event, das andere ein Prozess, der sich in der Regel über einen längeren Zeitraum erstreckt.
Was Lernen unter dieser Annahme wirklich bedeutet
Offen sein für Neues – nicht reflexartig „Das haben wir schon immer so gemacht" sagen. Und das ist insbesondere dann herausfordernd, wenn dir eher ähnlich ablaufende Aufgaben Spaß machen und zu deinem Aufgabengebiet gehören.
Neugier zeigen – über den eigenen Tellerrand schauen, von anderen lernen.
Aus Fehlern lernen – Fehler sind keine Schande. Jeder macht sie. Daher geht es nicht darum, diese zu verstecken, sondern zu analysieren und für das nächste Mal daraus zu lernen.
Alltagskompetenzen entwickeln – Allein etwas zu wissen reicht in der Regel nicht aus. Es geht darum, Wissen so einzusetzen und zu üben, dass daraus selbstverständliches Können wird.
Sich kontinuierlich weiterentwickeln – Lernen als lebenslange Haltung verstehen und nicht als Projekt betrachten, das hoffentlich bald abgeschlossen ist.
Das 70-20-10 Modell: Wie Menschen wirklich lernen
Die gute Nachricht: Die wirksamsten Lernformen kosten oft nichts oder wenig. Ich bin ein Fan des sog. 70-20-10 Modells. Das beinhaltet folgendes:
70 % Lernen ON THE JOB – durch Erfahrung
Wie es schon kleine Kinder machen, so funktioniert es auch bei Erwachsenen, wenn sie sich denn darauf einlassen: Menschen lernen am meisten, indem sie etwas tun. Neue Aufgaben übernehmen, Projekte leiten, Fehler machen.
Beispiel: Eine HR-Mitarbeiterin übernimmt ein Digitalisierungsprojekt und lernt dabei Projektmanagement, Stakeholder-Kommunikation und technisches Verständnis. Wichtig dabei: Klein anfangen und nach und nach größere Themen übernehmen.
Was HR tun kann: Bewusst Lernaufgaben schaffen. Fehler als Lernchancen begreifen.
20 % Lernen NEAR THE JOB – durch Austausch
Menschen lernen voneinander: durch Feedback, Mentoring, Coaching, kollegiale Beratung oder einfach durch Gespräche in der Kaffeeküche. Das muss nicht immer lange dauern und kann sowohl in organisierten Runden als auch informell stattfinden.
10 % Lernen OFF THE JOB – durch formale Weiterbildung
Seminare und Trainings haben hier ihren Platz unter der Voraussetzung, dass das Gelernte in den Alltag übertragen wird. Es geht also nur bedingt um eine Teilnahme an einem Training. Mindestens genauso wichtig ist, den Transfer wirksam und dauerhaft zu gestalten.
Was HR tun kann, damit das gelingt:
Weiterbildung nicht als Einzelevent sehen. Vor einem Training klären: Was will ich lernen? Nachher: Was setze ich um?
HR als Rollenmodell: Wenn nicht wir, wer dann?
HR beschäftigt sich viel mit Lernkultur und Veränderungsbereitschaft. Aber leben wir das selbst?
Die ehrliche Frage: Wie oft sagen wir „Das haben wir in HR schon immer so gemacht"? Wie offen sind wir für neue Methoden, Prozesse, Strukturen?
Ich möchte das am Beispiel Kommunikation näher erklären:
Klassische Herangehensweise:
Es kommt häufig vor, dass HR die Mitarbeitenden über neue Regelungen informieren muss. Nach einigen Abstimmungsrunden mit der Geschäftsführung steht endlich die E-Mail, die an alle Mitarbeitenden zur Information und Erklärung verschickt wird.
Ein paar Wochen später kommt die Frage auf: „Warum macht keiner mit? Wir haben doch umfassend dazu informiert!"
Dieses Ergebnis sorgt dann wiederum für Frust in HR und lässt die Motivation der Kolleg:innen in HR für weitere Aktionen sinken.
Die lernende Herangehensweise ist:
HR fragt sich: Warum kommt unsere Botschaft nicht an? Und wird aktiv:
Feedback einholen, indem im Unternehmen bei unterschiedlichen Personen mit verschiedenen Rollen nachgefragt wird.
Das Format „E-Mail" hinterfragen und beim nächsten Mal sich vielleicht sogar vor dem Versand erkundigen, welcher Kommunikationskanal für dieses Thema am besten funktioniert.
Aus dem Feedback lernen, was gut funktioniert hat und was noch besser gemacht werden kann.
Von anderen Abteilungen abschauen, z. B. wie kommuniziert der Vertrieb erfolgreich?
Dranbleiben und Ausdauer zeigen. Wir leben in einer Welt der Informationsflut. Es ist gar nicht so einfach, dass Informationen nach nur einem Mal hören oder lesen hängen bleiben.
Das Resultat: HR entwickelt bessere Kommunikationsfähigkeiten und wird zum Vorbild fürs Unternehmen.
Was dieser Ansatz im Zusammenhang mit Transformation bedeutet
Transformation bedeutet: von A nach B. Aber wenn niemand weiß, wie man von A nach B kommt, bleibt man bei A stehen.
Lernen fungiert auf dem Weg der Transformation als Brücke:
Digitalisierung braucht Menschen, die neue Tools anwenden können
Neue Arbeitsformen brauchen Menschen, die alte Denkmuster loslassen
Kulturwandel braucht Menschen, die ihr Verhalten ändern
All das passiert nicht durch eine PowerPoint-Präsentation, sondern durch kontinuierliches Lernen.
HR kann der Ermöglicher sein – nicht als Verwalter von Seminarbudgets, sondern als Architekt von Lernräumen.
Konkrete erste Schritte für HR
Du musst nicht gleich morgen das ganze Unternehmen umkrempeln. Aber du kannst klein anfangen:
1. Reflektiere dein eigenes Lernen
Wann hast du das letzte Mal etwas wirklich Neues gelernt?
2. Schaffe Lernräume
Einmal pro Woche 30 Minuten: Was haben wir gelernt? Was würden wir anders machen? Dazu gibt es tolle Formate wie kollegiale Beratung oder After Action Reviews.
3. Experimentiere
Teste neue Methoden. Nicht alles wird funktionieren, aber du wirst dabei lernen.
4. Hole dir Feedback
Frage: Was brauchen z. B. die Führungskräfte im Transformationsprozess von uns? Was können wir besser machen?
5. Vernetze dich
Suche den Austausch mit anderen HR-Profis: Was machen die anders?
6. Lebe eine offene Fehlerkultur vor
Sprich offen über Dinge, die nicht funktioniert haben.
Ein letzter Gedanke
Transformation ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Lernen ist kein Event, sondern eine Haltung.
Wenn Unternehmen transformieren wollen, brauchen sie Menschen, die bereit sind zu lernen – im Alltag, durch Neugier, durch Fehler, durch Austausch.
HR kann entweder am Rand stehen und Zertifikate verwalten. Oder mittendrin sein und Lernkultur gestalten. Die Wahl liegt bei dir.
Wie lernt dein HR-Team?
Ich freue mich auf deine Erfahrungen und einen tiefergehenden Austausch dazu.
Möchtest du mehr über praktische Lernformate in HR erfahren? Dann lass uns vernetzen und in den Austausch kommen.